Manche Unternehmungen stehen unter keinem guten Stern.
Aber warum sollte man auch überhaupt versuchen, mit einem Elektroauto, das zusätzlich noch einen anderthalb Tonnen schweren Wohnwagen hinter sich herzieht, von Berlin bis nach Norwegen und zurück zu fahren?
Schon ohne Wohnwagen ist das verrückt, weiß doch jede(r), dass E-Autos immer nur kurze Strecken fahren können und dann stundenlang an eine Steckdose müssen. Wenn man denn eine Möglichkeit zum Aufladen findet. In der Urlaubszeit!!!
Überall kann man doch lesen, wie engagierte Journalisten und Journalistinnen jedesmal bei dem Versuch kläglich scheitern, außerhalb befestigter Städte längere Urlaubsfahrten zurückzulegen.
Und doch geht es. Ganz easy. Aber zunächst einmal…
Fiasko
Mist! Drei Tage vor der geplanten Abfahrt Anfang August will ein Nachbar in der Tiefgarage etwas löten. Und ich stelle ihm großspurig die 230V-Bordsteckdose des IONIQ5 zur Verfügung. Das hat die letzten drei Jahre prima funktioniert und zum Beispiel den Wohnwagen eine Woche lang mit Strom versorgt, als der Campingplatz mal keinen Stromanschluss in der Nähe hatte. Ob das Folgende die Ursache dafür ist, lässt sich nicht sagen.

Aber diesmal schaltet die Steckdose nach wenigen Sekunden ab und eine Fehlermeldung erscheint im Display: „Unerwarteter Zustand des Systems.“ Eine schnelle Überprüfung ergibt: Nicht nur die Stromabgabe (V2L), auch das Aufladen mit Wechselstrom (AC) ist plötzlich ausgefallen. Allerdings funktioniert der CCS-Anschluss für das Schnellladen (DC) noch.
Uff, ein Glück! Das ist schließlich der bevorzugte Anschluss für unterwegs, den man an allen Fernstraßen und inzwischen häufiger auch in Städten vorfindet und nutzt.
Dennoch ist das kein gutes Omen. Und der Glaube an die Elektromobilität sinkt weiter, als auch noch ein weiterer Fehler angezeigt wird: Der Kühlmittelstand des Akkus ist zu niedrig. Teilweise ist der Nachfüllbehälter komplett leer, wenn beim Schnellladen die Akkukühlung intensiv arbeitet.

Und schon ist man verhaltener Häme durch die Verbrennerfahrer im Bekanntenkreis ausgesetzt: Selber Schuld, wenn man einer so unausgereiften Technologie vertraut.
Na, das war es dann wohl mit dem tollen Plan: Dänemark, Schweden, Norwegen. Lächerlich, wenn man nicht mehr überall aufladen kann. Das Ganze wird nach einem Telefonat mit der Werkstatt nicht schöner: Der Kollege für die E-Autos, also der einzige dort mit der Hochvoltausbildung, ist natürlich im Urlaub…
Der niedrige Kühlmittelstand ist offensichtlich aber nicht auf ein Leck, sondern lediglich auf einen von derselben Werkstatt vorgenommenen Wechsel der Flüssigkeit zurückzuführen, der einige Wochen vorher durchgeführt worden war.
Man muss dazu sagen, dass das betreffende Auto im Juli 2021 eines der ersten in Berlin zugelassenen war und somit auch als eines der ersten im Juli 2024 diese vorgeschriebene Wartung erhalten hat. Quasi Neuland.
Da ist man besonders motiviert und Dank der freundlichen und engagierten Kollegen im Service – selbst der Urlauber wird kontaktiert und hilft telefonisch mit – wird dieses Problem schnell behoben. Zumindest nach und nach, schließlich mit einem Nachfüllfläschchen zum Mitnehmen, denn immer wieder sinkt der Flüssigkeitsstand, wenn eine neue Luftblase sich den Weg nach oben gesucht hat.
Poker
Aber der Ausfall des Ladesystems für Wechselstrom kann ohne Hochvolt-Kenntnisse nicht repariert werden. Bedauerndes Schulterzucken. Da kann man halt nichts machen.
Was also tun? Den Urlaub stornieren und aufgeben? Ein Ersatzfahrzeug nehmen? Vorzugsweise etwas Vernünftiges, also ein Diesel-SUV?
Nein! Probleme sind dafür da, um gelöst zu werden! Und dann sind Camper*innen ja auch sonst immer mal mit Situationen konfrontiert, in denen sie auf Unerwartetes reagieren müssen.
Schließlich kann der IONIQ5 noch immer an den üblichen Schnellladern Strom bekommen, so wie das für die Reise ohnehin vorgesehen ist. Also kann die Fahrt angetreten werden, wenn auch mit dem Risiko, dass auch das Gleichstromladen irgendwann ausfällt. Denn die vermutete Ursache ist wahrscheinlich ein Serienfehler in der ICCU, der zentralen Ladesteuerung, die gerade anlässlich des diesbezüglichen Rückrufs getestet, upgedatet und für „In Ordnung“ befunden wurde. War sie wohl doch nicht…
Ein Anruf in Oldenburg, nahe des ersten geplanten Aufenthalts dieser Reise auf Fehmarn, gibt Hoffnung: Dort befindet sich der Hyundai Händler, dessen freundliche Crew auch schon öfter bei anderen Anliegen sehr hilfreich war.
„Kein Problem, wir sehen uns das an. Können Sie am Montag um 8:00 Uhr hier sein?“ Sogar ein elektrisches (!) Ersatzfahrzeug bieten sie an. Klasse, ein erster Lichtblick!
Also starten wir am Samstagmorgen mit dem Anhänger auf der Kupplung Richtung Fehmarn- mit gemischten Gefühlen. Wenn alles gut geht, trinken wir am Nachmittag dort gemeinsam mit Kindern und Enkelin Kaffee auf dem Campingplatz.
Wenn es schief geht allerdings, stehen wir mit dem Hänger irgendwo vor einer Ladesäule und können nicht mehr laden. Das wäre natürlich echt blöd, denn durch den mitreisenden Rollstuhlfahrer an Bord und den Wohnwagen am Heck wären wir trotz Mobilitätsgarantie von Hyundai und ADAC-Engeln nicht so einfach mit einem Ersatzfahrzeug zu versorgen.
Aber „all in“ sagt man wohl beim Pokern! Wir haben dabei ja schließlich nicht Haus und Hof gesetzt. Im schlimmsten Fall fällt der Urlaub doch ins Wasser und wir müssen wieder nach Hause. Keine Katastrophe, wenn auch sehr enttäuschend und ärgerlich. Aber die Alternative wäre, es überhaupt nicht erst zu versuchen. Kommt nicht in Frage! Also los.
Energie

Kurz gesagt: Die 400km Fahrt und die Schnellladungen klappen wie am Schnürchen. Wir laden in Heiligengrabe (2. Frühstück), Wittenburg (Mittagessen) und noch einmal in Oldenburg (kleine Erfrischung) etwa jeweils rund 20 Minuten lang.
Auf diese Weise halten wir den Akku zwischen 30% und 90% oder 20% und 80%, womit wir zwar nur etwa 60% der Ladung nutzen, aber immer flott wieder unterwegs sind und dennoch Reserve für einen unerwarteten Umweg oder ähnliches zur Verfügung haben. Auch kommen wir so nicht leer am Ziel an, sondern mit ziemlich hohem Akkustand von etwa 75%.
Mit dem Wohnwagen hinter dem E-Auto kann man bei unseren Fahrzeugen etwa 20km mit jeweils 10% der Akkuladung zurücklegen. Das ist eine gute Faustformel, auch wenn mal etwas mehr Kilometer drin sind. Aber bei dem Gewicht des Anhängers und dem leider auch oft starken Wind von vorn, hat sich dieser Wert immer wieder eingestellt. 60% Akkuladung ergeben somit eine sichere Reichweite von 120km.

Das ist halt Physik, denn hinter dem Auto zerstört der Luftwiderstand und die große Stirnfläche des Hängers die Bemühungen des Autoherstellers, das Zugfahrzeug möglichst windschnittig zu machen.
Auch mit Benzin oder Diesel steigt daher der Teil der Energie, der für die Überwindung von Luft-, Rollwiderstand und Schwerkraft benötigt wird, auf das Doppelte oder mehr, je nach Fahrgeschwindigkeit und Steigung. Nur steckt im normalen Verbrauch solcher Fahrzeuge auch noch der Verlust durch innere Reibung und vor allem durch Wärme, denn Verbrennungsmotoren sind wenig effektiv.
Vereinfacht gesagt wird bei sieben Liter Dieselverbrauch auf der Autobahn ohne Anhänger die Energie von dreieinhalb Litern Kraftstoff überhaupt nicht für den Antrieb verwendet, sondern geht im Motor verloren. Verdoppelt sich durch den Anhänger der Energiebedarf für den reinen Antrieb auf sieben Liter, kommt man in der Summe auf „nur“ zehneinhalb Litern Verbrauch pro 100km. Praktisch also nur rund ein Drittel mehr als ohne Wohnwagen.
Und auch mit diesem Verbrauch kann ein Diesel mit Anhänger in der Regel noch 400km weit fahren, weil sein Tankinhalt für 600 oder mehr „normale“ Kilometer ausgelegt ist.
Beim E-Auto wird die vorhandene Energie jedoch sehr viel effizienter genutzt. Ergo ist ein erhöhter Energiebedarf auch sofort viel stärker zu spüren. Wind von vorn und Steigung lässt den Akkustand schneller sinken, Rückenwind und Gefälle verringert den Verbrauch drastisch sogar bis hin zu einem Zuwachs an Akkuladung.
Doppelter Energiebedarf mit Wohnwagen gleich halbe Reichweite beim E-Auto. Und das bei nur 80 bis 100km/h. Das muss man nicht gut finden. Aber man kann sich leicht darauf einstellen und seine „Biopausen“ daran anpassen. Im Ergebnis fährt man mit dem Anhänger sehr entspannt, sitzt in einem leisen Auto mit hoher Zugkraft, muss sich nie mit einer vollen Blase quälen und empfindet das Reisen insgesamt sehr stressarm. Die gute Stunde für das Laden insgesamt auf 400km Strecke nutzen wir somit für sinnvolle Pausen.
Tja, und wie geplant röchelt am späten Nachmittag die Kaffeemaschine im bereits aufgebauten Vorzelt. Perfekt! Der erste Teil hat geklappt.
Wird fortgesetzt…
3 Gedanken zu „Nordwärts! (Teil 1)“